ProPsychiatrieQualität 2009 – Leitzielorientiertes Qualitätsmanagement gelingt!

Ursula Wollasch

1) Zum Inhalt des Handbuchs

Die Qualität sozialpsychiatrischer Hilfen ist kein „Zufallsprodukt“, sondern das Ergebnis eines Wechselspiels höchst unterschiedlicher Faktoren.  Qualität kann man beschreiben, fördern, steuern und überprüfen. Wie das gelingen kann, zeigt das vorliegende Handbuch. Das Qualitätssystem ProPsychiatrieQualität (PPQ)bietet eine Synthese aus sozialpsychiatrischer Fachlichkeit, international etablierten Ansätzen des Qualitätsmanagements und nicht zuletzt sozialethischen Leitzielen auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes.

Qualitätsmanagement-Systeme sind in der Regel weltanschaulich und fachlich neutral. Ihre Absicht ist die Optimierung von Strukturen und Abläufen in Organisationen, in der Wirtschaft ebenso wie im Nonprofit-Bereich. Mit dieser Neutralität ist die Frage nach der Zweckbestimmung der Organisation jedoch nicht erledigt. Im Gegenteil, sie bekommt überhaupt erst durch das QM ihre Dringlichkeit: Wenn eine Autowerkstatt genauso wie eine kirchliche Beratungsstelle nach Kriterien eines QM zertifiziert werden kann, was macht dann den spezifischen Unterschied zwischen beiden aus?

PPQ gibt auf die Frage gleich zu Beginn eine klare und eindeutige Orientierung. Sieben fachlich-ethische Leitziele prägen die Arbeit in der Sozialpsychaitrie und definieren damit die Zweckbestimmung einer Einrichtung oder eines Dienstes:

  • Die Würde des Menschen achten – seine Rechte sicherstellen
  • Selbstbestimmung wahren – Eigenverantwortung stärken
  • Verantwortung in gegenseitiger Achtsamkeit übernehmen
  • Glaubens- und Sinnerfahrungen ermöglichen
  • Teilhabe im Gemeinwesen solidarisch gestalten
  • Leiden und Symptome vermindern
  • Mit Ressourcen nachhaltig umgehen

Die Achtung der Würde der Person ist Ausgangspunkt der Überlegungen. PPQ stellt sich damit bewusst auf den Boden des Grundgesetzes (GG Art. 1) und der christlichen Gesellschaftslehre. Mit dem Instrument einer Matrix werden diese Leitziele mit Leistungsprozessen zusammengeführt und dem Anwender zur Reflexion angeboten. PPQ will mit seiner Matrix keine ethischen Probleme lösen. PPQ liefert ein Instrument zum differenzierten fachlich-ethischen Diskurs, um zur Urteilsbildung und Entscheidungsfindung in konkreten Handlungssituationen beizutragen. Auf diese Weise kann die Matrix als ethisches Fundament einer Qualitätsphilosophie dienen, aber sie macht auch Vorgaben für die Qualitätspolitik eines Trägers. Es liegt in der Verantwortung des Trägers in der Organisation Zeiten und Orte zu schaffen, wo diese Reflexion stattfinden kann.

ProPsychiatrieQualität (PPQ)sieht die Organisation als ein Ganzes, in dem unterschiedliche Gruppen in Beziehung zueinander treten. Sie bringen Erwartungen, Erfahrungen, Ressourcen und vor allem Rechte und Pflichten mit. Diese Komplexität gilt es im Sinne eines gelingenden Miteinanders zu gestalten. Konsequente Beteiligungsorientierung, Ressourcenorientierung und Handlungsorientierung sind daher neben den sieben ethischen Leitzielen grundlegende, unverzichtbare Qualitätsgesichtspunkte in PPQ – Merkmale gelebter Qualität.

Beteiligungs- und Ressourcenorientierung sind zentrale Aspekte des Trialogs, der als Kommunikationsform jenseits der Institution Psychiatrie-Erfahrenen, Professionellen und Angehörigen immer wieder neue, unerwartete Denk- und Handlungsmöglichkeiten erschließt. Der Trialog hat PPQ ebenso kritisch wie konstruktiv inspiriert. Der Arbeit in der Einrichtung immer mehr „trialogische Qualität“ zu verleihen, dies könnte man als eines der obersten Ziele von PPQ beschreiben. PPQ bietet in diesem Sinne eine leitzielorientierte Gesamtkonzeption, die auf sechs Säulen beruht:

  • Hilfeplanung, -gestaltung und -evaluation
  • Beteiligung der Psychiatrie-Erfahrenen
  • Beteiligung der Angehörigen
  • Gemeinwesenorientierung
  • Organisationsentwicklung
  • Personalentwicklung

Der Prozess der Hilfeplanung, -gestaltung und -evaluation steht im Mittelpunkt der Qualitätsentwicklung. PPQ beschreibt verschiedene Instrumente der Hilfeplanung und zeigt sich damit anschlussfähig an unterschiedliche fachliche Ausrichtungen. Aber auch Aspekte der EDV, des Datenschutzes und zur  Evaluation werden dargestellt und im Hinblick auf eine optimale Zielereichung erörtert.

PPQ widmet sich ausführlich den verschiedenen Anspruchsgruppen innerhalb und außerhalb der Einrichtung, an erster Stelle der Beteiligung der Psychiatrie-Erfahrenen selber. Der Trialog wird nicht nur zum Thema gemacht, sondern systematisch in das methodische QM einbezogen. So sind Qualitätszirkel  trialogisch zu gestalten. Aber auch andere Ansätze der sozialpsychiatrischen Arbeit wie Empowerment, die Recovery-Bewegung oder die Anti-Stigma-Arbeit können im Kontext des QM interessante neue Perspektiven entfalten, beispielsweise im Hinblick auf ein Beschwerde- und Verbesserungsmanagement, das für jedes QM-System essenziell ist.

Beteiligung der Angehörigen ist aus trialogischer Sicht selbstverständlich Mit ihrer systematischen Einbeziehung in das Qualitätsmanagement von PPQ sind die Angehörigen nicht nur Impulsgeber und Informanten, sondern Trialog-Partner im Prozess der Qualitätsentwicklung.

PPQ findet dort gute Voraussetzungen, wo Gemeindepsychiatrische Verbünde (GPV) bestehen, aber es geht mit seinem Ansatz der Gemeinwesenorientierung noch einen Schritt weiter. Zwei Modellprojekte, aus Deutschland die „Soziale Stadt“ und das niederländische „Kwartiermaken“ illustrieren, wie Beteiligung im Sozialraums aussehen kann, wie sie Lebenswelten verändert und das gesellschaftliches Klima verbessert. Offenheit für Neues, Abbau von Fremdheit, die Sensibilisierung der Wahrnehmung und nicht zuletzt die Aktivierung von Gruppen, die bislang völlig unverbunden nebeneinander existierten, schaffen einen Kontext, wo sich Psychiatrie-Erfahrene einbringen können und wollen.

PPQ wirkt auf die Außen- und die Innenwelt der Einrichtung. Man kann das Handbuch als Grundlage für eine QM-Einführung verstehen, aber es ist auch als Basislektüre für einen grundlegenden Organisationsentwicklungsprozess nutzbar. Kernelemente der Organisationsentwicklung werden eigens dargestellt und tragen damit der Tatsache Rechnung, dass ein QM sich nie nur in einer „Nische“ einer Einrichtung abspielen kann, sondern konsequent und auf Dauer alle Bereiche, Ebenen und Strukturen verändert. PPQ zeigt damit ein strategisches Potenzial, das eine Engführung auf operative Maßnahmen der Qualitätssicherung nicht zulässt. 

Moderne Organisationsentwicklung ist ohne ein solides „Basispaket“ Personalmanagement heute nicht mehr darstellbar. PPQ bietet dazu ein breites Repertoire an Instrumenten und Methoden. Dreh- und Angelpunkt der Darstellung ist jedoch die Verantwortlichkeit der Leitung, der im Spannungsfeld von Frustration und Motivation der Mitarbeitenden eine Schlüsselrolle zukommt. Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung wie auch der Personalentwicklung werden zum Gradmesser, wie konsequent und nachhaltig ein Träger die Einführung von PPQ handhabt. Ein im Sinne von PPQ erfolgreiches QM fördert Lernprozesse, die sich auf Personen- und Sozialkompetenz, auf Fach- und Methodenkompetenz und auf Gemeinwesenkompetenz beziehen. PPQ selbst steht für einen umfassenden und kontinuierlichen Prozess des organisationalen Lernens. Dem Träger und den Leitungsverantwortlichen obliegt die Verantwortung, wann und wo, in welchem Umfang und mit welcher Tiefe sie PPQ einführen und darüber nicht nur ihre Organisation, sondern auch ihr eigenes Qualitätsmanagement kontinuierlich verbessern.

ProPsychiatrieQualität (PPQ)bietet diese breite Synthese auf der Basis des klassischen Projektmanagements und der Qualitätszirkelarbeit. Etablierte Normensysteme wie die DIN EN ISO 9000:2005 oder das EFQM- Modell können auf diesem Wege ebenso eingeführt werden wie das Arbeiten mit einer Balanced Scorecard. Auch an dieser Stelle beweist PPQ seine hohe Anschlussfähigkeit. Ein Überblick über maßgebliche Sozialgesetze und einschlägige Paragraphen rundet die Darstellung ab. Daran schließt sich ein kurzer Exkurs an zur erfolgreichen Anwendung von PPQ in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Es ist zu wünschen, dass PPQ mit seinen Prinzipien der Selbstbestimmung, Teilhabe und Partizipation eine nachhaltige Resonanz findet – nicht nur in der Praxis der Sozialpsychiatrie. 

PPQ ist kein „schlankes“ QM und auch kein QM „von der Stange“. Die hohe Anschlussfähigkeit an diverse fachliche und methodische Ansätze, entbindet Träger nicht die spezifische „Passung“ im Hinblick auf eine einzelne Einrichtung, einen einzelnen Dienst herzustellen. Je nach dem kann darin ein Aufwand höchst  unterschiedlichem Umfangs liegen. Wer sich aber der Anstrengung unterzieht, darf sicher sein, dass er ein einmaliges und unverwechselbares Profil entwickelt. Die Mühe lohnt sich – für alle Beteiligten.

2) Zur Arbeit mit dem Handbuch

PPQ ist Qualitätsphilosophie, Qualitätsmanagementkonzept und Arbeitsbuch in einem. Dem Anwender in der Praxis leisten Lesehilfen gute Dienste. Das Inhaltsverzeichnis zu Beginn eines jeden Kapitels vermittelt dem Leser einen ersten Überblick. Abstracts fassen wesentliche Gesichtspunkte zusammen, Qualitätsindikatoren am Kapitelende fokussieren auf die PPQ-Qualitätsmerkmale. Weiterführende Literaturhinweise und ein Glossar ermöglichen dem Leser eine Vertiefung der Thematik. Visuelle und grafische Elemente lenken die Aufmerksamkeit auf zentrale Gedanken und zeigen optisch deren Bedeutung an. Leitziele, Thesen, Checklisten sowie die Beschreibung von Prozessen und Indikatoren ermöglichen dem Leser ein rasche Orientierung und schnelles Wiederauffinden von wichtigen Textstellen Das Arbeitsbuch wird auf diese Weise schon fast zu einem Lehrbuch macht. Erstmalig ergänzt wird das PPQ-Handbuch durch erprobte und praxistaugliche Methoden und Instrumente im Internet, die ständig aktualisiert werden.

Besondere Erwähnung und Würdigung verdient auch in diesem Kontext die PPQ-Matrix, die ethische Leitziele unmittelbar mit Prozessen der Leistungserbringung verbindet. Der Bau einer Brücke zwischen Fachlichkeit und Ethos ist für Fachkräfte eine Herausforderung, aber auch für Ethik-Spezialisten. Das Ergebnis ist nur allzu oft eine Checklisten-Ethik, die sich im Abarbeiten von Kriterien und Indikatoren erschöpft, oder eine „Sahnehäubchen-Ethik“, die dem an sich neutralen Qualitätsmanagement sozial gewünschte Werte hinzufügt. Das Dilemma lässt sich lösen, wenn man Fach- und Führungskräften und allen anderen Beteiligten zumutet, aber auch zutraut, dass sie zu differenzierter moralischer Reflexion willens und in der Lage sind. Die PPQ-Matrix ermöglicht es, dass sich die Akteure selbst und gegenseitig systematisch Fragen stellen, die sie in ihrer fachlichen Arbeit und ihrem Wertebewusstsein unmittelbar berühren. Werte kommen damit nicht von oben und auch nicht von außen, sie werden im Austausch der an der Leistungserbringung beteiligten Trialog-Partner gemeinsam entwickelt und erlebt. Anders gesagt: für eine trialogisch-ausgerichtete Qualitätsentwicklung in der Sozialpsychiatrie und auch der Behindertenhilfe ist ProPsychiatrieQualität und seine Werte-Matrix ein hervorragendes, unverzichtbares Instrument! 

Autorin

Dr. theol. Ursula Wollasch, Dipl.-Theol, seit 2003 für den Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. tätig, seit als 2004 Geschäftsführerin; arbeitete von 1998 bis 2003 an der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes (DCV) e.V. in Freiburg als Dozentin.; leitete von 1993 bis 1998 ein Projekt der VW-Stiftung zur Unternehmensethik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster/Westf..

Kontakt

Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) e.V., Geschäftsstelle, Karlstr. 40, 79104 Freiburg/Br., 0761/200255
E-Mail: ursula.wollasch@caritas.de

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